Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich des 325.Geburtstages des Georgianums war der Festakt am 25.08.2005 im vollbesetzten Theater an der Wilhelmshöhe in Anwesenheit des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. In seiner Festrede zum Thema „Das Gymnasium heute – der Tradition und Zukunft verpflichtet“ stellte er die Bedeutung der Schule für die Zukunft heraus und sprach dem Gymnasium Georgianum Lob und Anerkennung für die langjährig geleistete Arbeit aus.
Das Programm wurde umrahmt von der Georgs-Kantate, gesungen und dargestellt von Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 6 unter der musikalischen Leitung von Frau Tilmann- Bürger. Als ein Beitrag von besonderer Art erwies sich die Aufführung des Liedes „Leise zieht durch mein Gemüth“ durch den Schulchor. Was selbst viele Georgianer heute nicht mehr wissen: Der Namensgeber unserer Schule, König Georg V. von Hannover (1819-1878), hat es komponiert!
Nach den einleitenden Worten des Landrats Hermann Bröring richteten Heiner Pott als Oberbürgermeister der Stadt Lingen, Frau Schwennen als Elternvertreterin und Alena Katzinski als Schülersprecherin Glückwünsche und lobende Grußworte an das Auditorium.
Der Vorsitzende des Vereins ehemaliger Georgianer, Dr. Walter Schulz, gratulierte in bekannt humorvoller Weise der Schulgemeinschaft und lud gleichzeitig zur 14. Wiedersehensfeier ehemaliger Georgianer vom 26.08. bis zum 28.08.05 ein.
Nach Überreichung der ersten druckfrischen Exemplare der Festschrift durch den Schulleiter Heinz Buss an den Ministerpräsidenten und den Landrat und mit dem Dank an alle Förderer der Schule und an die Mitwirkenden dieser Jubiläumfeier endete der offizielle Teil, der im Foyer bei einem kleinen Imbiss und mitreißender Musik von Georgie’s Groove Band, geleitet vom ehemaligen Schüler Christoph Hüsken, einen gelungenen Abschluss fand.
Die Festrede des Herrn Ministerpräsidenten Christian Wulff:
Sehr geehrter Herr Landrat, lieber Hermann Bröring, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Pott, meine Herren Abgeordneten, lieber Hermann Kues (MdB), lieber Heinz Rolfes (MdL), sehr geehrter Herr Oberstudiendirektor Buss, sehr geehrtes Lehrerkollegium, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, sehr geehrte ehemalige Georgianer, Freunde und Förderer des Georgianums, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herzlichen Dank für Ihre Einladung zum 325-jährigen Jubiläum des Georgianums Lingen! Der „demokratisch legitimierte Nachfolger des Königs von Hannover“, wie Landrat Bröring den heutigen Festredner in seiner Einladung apostrophierte, ist ihr sehr gerne gefolgt. Ich freue mich, zu diesem außergewöhnlichen Schuijubiläum zu Ihnen, und – das hoffe ich sehr – nachher auch wenigstens mit einigen von Ihnen sprechen zu können!
Zunächst das nahe Liegende: Herzliche Gratulation zum Jubiläum, zu 325 Jahren Georgianum! Nicht wenige sind mit Sicherheit hier unter uns, die schon die 300-Jahr-Feier im Jahre 1980 mit dem damaligen Kultusminister Dr. Werner Remmers als Festredner erlebt haben.
Vielleicht erwarten – oder befürchten Sie gar! – jetzt eine typische Politikerrede über die Rolle und den Wert von Bildung in unserer globalisierten Welt. Über ihren Stellenwert in unserer Informations- und Wissensgesellschaft im Allgemeinen und in unserem rohstoffarmen und exportreichen Deutschland im Besonderen. Dazu noch garniert mit den üblichen Ermahnungen, das PISA-Tal mit großen Schritten zu verlassen. Nun, einige Überlegungen in dieser Richtung werde und kann ich Ihnen nicht ersparen. Denn wenn der Ministerpräsident hier das Wort ergreift, sind politische Anklänge nicht nur kaum zu vermeiden, nein, sie sind sicherlich geradezu erwünscht. Doch ich will nicht zuerst und überwiegend ermahnen oder gar belehren. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, Sie zu loben. So darf ich zunächst mit Genugtuung feststellen:
Die Bildungs- und Erziehungsarbeit Ihres Gymnasiums erfreut sich der besonderen Wertschätzung der Landesregierung, die mit großem Interesse verfolgt, wie hier am Gymnasium Georgianum unterrichtet und erzogen, mit welcher Freude hier gelehrt, gelernt und gelebt wird! „Die Freiheit, mit Weisheit geleitet, führt zu einem offenen Aug‘ und Ohr“, hat Heinrich Pestalozzi in seinem Tagebuch über die Erziehung seines Sohnes festgehalten. Diese Erkenntnis suchen auch Sie, verehrtes Lehrerkolleglum, in Ihrer täglichen Bildungs- und Erziehungsarbeit zu verwirklichen.
Das ist viel mehr als bloße Wissensvermittlung. Gerade in der Schule kommt es darauf an, auch Maßstäbe und Grenzen zu setzen sowie Orientierungen zu geben, die über Wissen und Lernen als Funktionsbegriffe weit hinausweisen. Unsere Gesellschaft braucht gebildete Menschen mit viel Sachverstand, aber auch mit gesundem Menschenverstand und Herzenswärme, Menschen, die unsere Grundwerte verinnerlicht haben und für das Gemeinwohl eintreten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
da ich eine Jubiläums-Festrede in einem altehrwürdigen Gymnasium über das Gymnasium halten soll, will ich nicht zu allgemein werden! Denn, das weiß ich noch aus der eigenen Schulzeit, eines darf mir hier auf keinen Fall passieren, nämlich das knappe Urteil unter dem Aufsatz: „Thema verfehlt!“. Das von Ihnen gewünschte Thema lautet: „Das Gymnasium heute – der Tradition und Zukunft verpflichtet?“ Das Fragezeichen in der Aufgabenstellung habe ich durch einen Punkt ersetzt. Das ist auch schon meine erste Botschaft.
Ich werde hauptsächlich über das Gymnasium reden und seinen Ort, seine Aufgabe und seinen Zweck heute im Spannungsfeld zwischen Tradition und Zukunft. Also zwischen dem Überlieferten von gestern und den Anforderungen von heute und morgen. Aber weil das Gymnasium einen weit reichenden Anspruch hat, werde ich notwendig auch auf allgern eine und grundlegende Aspekte von Bildung und Erziehung sowie auf ihre Grundlagen in der modernen Demokratie zu sprechen kommen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
was macht das Gymnasium heute aus? Und was ist seine Tradition, sein Profil, seine Stärke? Und wie kann es auch morgen die Leistung bringen, die von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gefordert wird? Ich möchte diese Fragen und Aspekte im Lichte des Jubiläums dieser Schule angehen!
Es ist schon etwas Außergewöhnliches, einer Schule zum 325-jährigen Bestehen gratulieren zu können. Eine Schule, die auf eine so lange Bestehensgeschichte verweisen kann, darf von sich mit Stolz behaupten, etwas darzustellen, ein unverwechselbares Profil zu besitzen und im Laufe der Geschichte immer wieder eine überzeugende Antwort auf die bange Frage zahlloser Elterngenerationen gefunden zu haben: Lohnt es sich, unser Kind auf diese Schule zu schicken?
Ja, es lohnt sich, und es hat sich schon vielfach gelohnt. Aus dieser Schule gingen später so herausragende Persönlichkeiten hervor wie der preußische Finanzminister Johannes von Miquel oder die Bischöfe Wilhelm Berning (Osnabrück), Franziskus Demann (Osnabrück) und Martin Kruse (ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD) sowie Frau von Weymarn, die erste Frau der Bundeswehr im Generalsrang. Einige ehemalige Schüler sind heute unter uns: Ihr Oberbürgermeister Heiner Pott, Ihr Bundestagsabgeordneter Hermann Kues und Ihr Landtagsabgeordneter Heinz Rolfes. Noch viele andere wären zu nennen, die früher und heute, ob im Emsland verblieben oder in der Welt verstreut, das Bildungsideal des Georgianums weitertrugen und weitertragen.
Das Licht dieser Persönlichkeiten strahlt auf ihre Bildungsanstalt zurück. Ich möchte deshalb an dieser Stelle all denen danken, die an dieser Schule und für diese Schute Verantwortung tragen: der Schulleitung und den Lehrkräften, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Schulträger, der Stadt, dem Landkreis, der Schulbehörde, den Schülerinnen und Schülern, den Erziehungsberechtigten, den Ehemaligen, Freunden und Förderern, die Anteil am Leben und Wirken dieser Bildungseinrichtung nehmen und sie nach Kräften unterstützen. Ohne ihren Einsatz, ohne ihr Wirken wäre das Georgianum nicht was es heute ist und weiter sein will: ein im Konzert der Schulen in der Bildungsregion Emsland altehrwürdiges, weithin anerkanntes und hoch angesehenes
„altsprachliches Gymnasium“.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Tat, das Georgianum war und ist das alles. Es ist altsprachlich orientiert, eine Gründung des Staates und hat ein stolzes Alter, gepaart mit reicher Tradition und hohem Renommee: Es ging 1680 auf Betreiben Prinz Wilhelms III. von Oranien aus einer Lateinschule als „Trivialschule ersten Ranges“ hervor, “zur größten Ehre Gottes, zur Fortsetzung der Reformation, zum Ruhme und Wohistande der Stadt, zum Besten der Kirche und des Staates“, wie es damals hieß. „Georgianum“ heißt diese Anstalt seit 1859, als König Georg V. von Hannover das damals neu errichtete Schulgebäude einweihte und ihm seinen Namen gab.
Was wurde in der Gründerzeit dieser Schule unterrichtet? Die Lehrpläne damaliger Schulen geben Auskunft über die Anforderungen. Dem Adel, den höheren Ständen waren so genannte „collegla illustra“ vorbehalten. Hier erlernte die Jugend für die damalige Zeit wichtige Fertigkeiten wie Reiten, Bogenschießen, Fechten, aber auch Tanzen und höfische Etikette. Doch auch eine Feudalgesellschaft konnte an der Spitze, aber auch auf der mittleren Ebene der Gesellschaft nicht auf vertiefte Kenntnisse rund um die klassischen und elementaren Fähigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen verzichten. Dafür gab es damals Lateinschulen und eben auch „Trivialschulen ersten Ranges“ wie diese 1680, zur Barockzeit, zu Beginn des Absolutismus gegründete Anstalt!
Trivial, das sagen wir heute, manchmal sogar abfällig, zu Selbstverständlichem. In der Tat, das „trivium“, also die drei grundlegenden der insgesamt sieben klassischen „artes liberales“ sollte zu jener Zeit ein jeder beherrschen, der zu den gebildeten Ständen zählte. Diese drei waren Grammatik. Rhetorik und Dialektik, also die Beherrschung der Sprache und ihres logisch zutreffenden Einsatzes in Rede und Schrift. Die restlichen vier waren Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Wir erkennen sie bei näherem Hinsehen unschwer als die heutigen Fächer Mathematik inklusive Raumlehre, die Naturwissenschaften, die sich heute ausfalten in Physik, Chemie und Biologie, sowie die musischen Disziplinen.
Wir sehen: Die auch heute unverzichtbaren Unterrichtsfächer haben schon eine sehr lange Tradition. Vergleichen wir sie einmal mit einem modernen Konzept von Bildung, der Definition des „kanonischen Orientierungswissens“ des Berliner Erziehungs-wissenschaftlers Professor Jürgen Baumert, des PISA-Experten schlechthin! Wir bemerken deutliche Entsprechungen zum traditionellen Kanon der sieben „freien Künste“. Diese mussten übrigens die drei Königsdisziplinen des seit dem Hochmittelalter aufblühenden Universitätswesens neben oder gar über sich dulden: die Medizin, die Rechtswissenschaft und, als Königin über allen, die „sacra doctrina“, die Theologie! Ob diese Rangordnung noch heute so gilt, was sich gehalten hat, was neu ist, darüber nachzudenken, hielte ich für interessant und reizvoll. Vielleicht ein Thema für einen Oberstufen-Aufsatz?!
Doch zurück zu unseren gymnasialen Schulfächern! Wo liegen die Entsprechungen zu den klassischen Fächern, wo die Erweiterungen, die die moderne Entwicklung notwendig mit sich gebracht hat? Betrachten wir dazu das Baumert‘sche Konzept des „kanonischen Orientierungswissens“, die „vier Modi der Weltbegegnung“, wie er sie nennt, nämlich:
– Mathematik und Naturwissenschaften als „kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt“,
– Sprache, Literatur, Musik, Bildende Kunst und Sport als „ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung“,
– Geschichte, Ökonomie, Politik und Recht als „normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft“ sowie
– Religion und Philosophie als „Probleme konstitutiver Rationalität“.
Wir sehen, vieles ist klassisch, oft versteckt in neuen Ausdrücken. Hinter den Naturwissenschaften etwa verbirgt sich die klassische, weil älteste Vertreterin, die Astronomie. Hinter Philosophie bemerken wir unschwer die „freie Kunst“ der Dialektik, die später auch Logik genannt wurde, eine wichtige Teildisziplin der Philosophie. Einige Disziplinen bekamen Zuwachs, zur Astronomie traten viele weitere Naturwissenschaften. Neben die Musik trat die bildende Kunst; Geschichte und Politik entwickelten sich aus der Rechtswissenschaft. Doch einiges ist auch neu. Unbestritten ist das der Fall im Fach Informatik. Aber auch Geschichte, Ökonomie und Sport als Wissenschaft entstanden erst im 19. Jahrhundert. Entsprechend entwickelten sich neue Schulfächer. Aber vergessen wir, wenn wir z.B. auf den Sport schauen, auch nicht die nackten griechischen Jünglinge der Antike in ihrem „gymnasion“ oder den reitenden, bogenschießenden, fechtenden und tanzenden Adelsspross in seinem Collegium…!
Wir sehen, es gibt Neues unter der Sonne, aber noch mehr Altes und Bewährtes in neuem Gewand! Ich finde, das war und ist auch das bewährte und funktionierende Arbeitsprinzip des „Georgianums“: Das Alte, Überkommene zu bewahren und es gleichzeitig an die Erfordernisse neuer Zeiten, an neue Bedürfnisse und Aufgaben anzupassen! Jede Zeit hat ihre, jedes Jahrhundert hat seine Idee von dem, was heranwachsende junge Menschen wissen und können sollen, damit sie sich in der Welt, in der sie leben, zurechtfinden, bewähren und nützlich machen können.
Wie sieht das heute genau am „Georgianum“ aus? Wir finden Klassisches, wir finden Modernes, und wir finden die geglückte Kombination von beidem. Hier werden noch heute die alten Sprachen und damit Geist und Kultur der Antike gepflegt und vermittelt. Es haben aber zugleich die neuen lnformations- und Kommunikationstechniken in Gestalt von Multimediaräumen und internetbasiertem Unterricht Einzug gehalten. Das Beispiel zeigt: Tradition und Moderne müssen keine Gegensätze sein, sie sollten sich vielmehr gegenseitig bedingen und beeinflussen. Wer eine Antwort auf die Frage zu finden sucht, was junge Menschen heute und für die Zukunft lernen sollen, welche Art und welchen Umfang von Bildung sie für heute und morgen benötigen, der ist gut beraten, nicht nur auf die aktuelle Situation und, soweit möglich, in die Zukunft zu blicken. Er sollte sich auch umdrehen und auf das Vergangene schauen. Wilhelm von Humboldt formulierte es sehr treffend: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“. Ich ergänze: Zukunft braucht Herkunft.
Das Georgianum hat danach gehandelt und damit sein Profil gewonnen und geschärft. Es ist ihm gelungen, eine spezifische Antwort auf das Verhältnis von Tradition und Moderne zu geben. Als Gymnasium mit einem altsprachlichen Zweig steht die Schule zu ihrer Herkunft als Lateinschule. Als ehemalige „Trivialschule ersten Ranges“ steht sie auf dem Boden der Tradition der antiken „sieben freien Künste“. Sie zeigt ihren Schülerinnen und Schülern auch heute, auf welche Weise die Auseinandersetzung mit der Antike als dem „nächsten Fremden“ niemals „alt“ im Sinne von veraltet sein muss, sondern nach wie vor, auch in heutiger Zeit, hoch modern, aktuell und auch nützlich sein kann.
Als Einrichtung mit dem umfassenden Angebot des modernen gymnasialen Fächerkanons trägt die Schule aber auch eindrucksvoll der Tatsache Rechnung, dass unsere technisierte Welt, unsere moderne Wirtschaft und unsere offene Gesellschaft spezifische Anforderungen stellt, die es so noch nie gab und auf die deshalb inhaltlich, mit neuen Fächern, aber auch formal, d.h. methodisch, didaktisch und pädagogisch, adäquat reagiert werden muss!
Sehr geehrte Damen und Herren, den Gründern und den nachfolgenden Trägern des „Georgianums“ ging und geht es nicht um Bildung und Erziehung schlechthin, sondern ganz ausdrücklich um Bildung und Erziehung aus christlichem Geist.
Was heißt das heute? Schule hat sich hiernach – wie gesagt – nicht auf die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten als funktionalem Verfügungswissen zu beschränken. Vielmehr muss sie sich auch um die Vermittlung von Haltungen und Einstellungen bemühen, um Verantwortungsbereitschaft, Toleranz und Offenheit. Das Erlernen und Üben von sozialem und moralischem Verhalten, von Verantwortlichkeit und Toleranz ist ein wichtiger und unverzichtbarer Maßstab für Erziehung und Bildung, dem sich die Schule gerade heute verpflichtet wissen soll.
Ich begrüße es deshalb, wenn der bereits erwähnte Professor Baumert über das Verfügungswissen hinaus von einem „kanonischen Orientierungswissen“ spricht und es als Grundstruktur der Allgemeinbildung für junge Menschen heute bezeichnet. Ja, er ersetzt sogar den Begriff des Verfügungswissens als Kennzeichen unserer modernen Wissensgesellschaft durch den des Orientierungswissens! Und dieses zu vermitteln, ist auch Aufgabe der Schule!
Denn, meine Damen und Herren, davon bin ich fest überzeugt: In unserer durch Beschleunigung, „Gleich-Gültigkeit“ und Unübersichtlichkeit gekennzeichneten Welt kommt es neben dem Elternhaus auch ganz entscheidend auf die Schule an, welche Orientierung den Heranwachsenden gegeben wird. Und ich bin überzeugt, dass auch heute der christliche Glaube diese Orientierung geben kann.
Zu Ihrem heutigen Jubiläum möchte ich Sie am Georgianum deshalb ermuntern und bitten, sich des christlichen Verständnisses von Erziehung und Bildung bewusst zu bleiben und Ihr Handeln an dieser Schule darauf hin zu prüfen, ob es dazu beiträgt, was Hartmut v. Hentig einmal wie folgt ausgedrückt hat:
„Was auch immer den Menschen bildet, ich werde es daran messen, ob dies eintritt:
Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit; die Wahrnehmung von Glück; die Fähigkeit und den Willen, sich zu verständigen; ein Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz; Wachheit für letzte Fragen; und – ein doppeltes Kriterium – die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und Verantwortung für die res publica.“
Ich bin überzeugt, wir brauchen dieses Engagement aller für unser Gemeinwesen. Es garantiert erst den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft und damit ihre weitere Entwicklung. Wir brauchen ein soziales Band, salopp ausgedrückt „sozialen Kitt“ als Bindemittel, um die Vielzahl auseinander strebender Egoismen, die eine Menge von Menschen nun einmal immer auch ist, zu bändigen. Grundlage hierfür ist die gegenseitige Achtung der Würde der Person sowie die gegenseitige Anerkennung unserer Bedürfnisse. Letzteres ist die ebenso schlichte wie ausreichende Definition von Gerechtigkeit. der obersten Kardinaltugend. Zu den gemeinsamen Grundvorstellungen, die darauf aufbauen oder anknüpfen können, zählen die weiteren Kardinaltugenden Klugheit, Mut und Maß oder besser Mäßigung. Dazu zählen aber auch die Grundwerte des christlichen Glaubens, das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe mit einer recht verstandenen Eigenliebe als Voraussetzung so wie als Folge oder ganz einfach die bekannten 10 Gebote, die die Kirche aus der jüdischen Tradition übernahm.
Solche und ähnliche ethischen Grundsätze und Maßstäbe kennen auch andere Religionen. Auch mythischem Dichten und profanen Denksystemen wie etwa der stoischen Philosophie sind sie nicht fremd. Es scheint so, als ob das Erbe des moralischen Denkens der Religionen wie der Mythologie und der Philosophie sich quasi im Laufe der Jahrtausende und Jahrhunderte verdichtet bzw. auf einen Kernbestand heraus kristallisiert hat, der heute mit der Begründung und Formulierung der Menschenrechte seine gültige und allgemein anerkannte Ausformulierung erhalten hat. Auch das christliche Menschenbild, die christliche Ethik und Soziallehre trugen mit der Lehre von der Freiheit und Würde der Person mit dem Gebot der Nächsten- und Feindesliebe, also der Toleranz, den Prinzipien der Gerechtigkeit, Solidarität und Subsidiarität zu dem heute anerkannten und gültigen Kanon unserer Grundwerte bei. Sie geben unserem Alltag Orientierung – genauso, wie sie als Grundlage unseres politischen Handelns taugen.
Gerade die Demokratie ist ihrer Herkunft und damit ihrem Wesen nach auf diesen Wertekanon angewiesen. Demokratie verschafft durch Gewaltenteilung, Garantie der Grundrechte und die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, kurz, durch den Schutz der Privatsphäre, den Menschen die notwendigen Freiräume. So können sie ihre eigenen Fähigkeiten entfalten und haben die Möglichkeit, ihre Anliegen vorzubringen – etwa im Demonstrations- und Versammlungsrecht – und ihre Rechte einzufordern. Gleichzeitig ist sie aber auch auf die sinnvolle Nutzung dieser Freiräume zu ihren Gunsten angewiesen – deren Missbrauch schädigt die Demokratie. Demokratie ist nichts Urwüchsiges – und nicht unverwüstlich! Im Gegenteil:
Die Demokratie ist die einzige Herrschaftsform. die in ständiger neuer Kraftanstrengung gelernt und bewahrt werden muss.
Demokratie ist eine Kultur, die in einer Gesellschaft stets aufs Neue von unten wachsen muss. Die Schule kann und muss dazu einen erheblichen Beitrag leisten. Und sie tut es auch – die jetzt Eigenverantwortliche Schule Georgianum in ganz besonderer Weise!
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Georgianum leistet nicht nur hervorragende Arbeit bei der Vermittlung von Funktional- und Verfugungswissen, das junge Menschen heute fur den Start in Ausbildung, Studium und Beruf benotigen Es vermittelt zugleich Orientierungswissen auf der Grundlage der antiken Tradition und des biblisch-christlichen Glaubens, um unsere jungen Menschen zu mundigen Staatsburgern und engagierten und verantwortlichen Demokraten zu erziehen.
Ich danke allen, die sich an dieser Schule Tag für Tag fur diese Ziele einsetzen Noch einmal gratuliere ich Ihrer Schule zum Jubilaum! Ich möchte schließen mit einem Wort des antiken griechischen Philosophen Heraklit, der vor gut zweieinhalb tausend Jahren feststellte: „Alles fIießt.“
Ja, das stimmt! Nehmen wir Heraklit heute auch ‚mal im ganz trivialen Sinne beim Wort, lassen wir nachher die in der Schule zugelassenen Getränke fließen!
Auf das Wohl des Georgianums und „ad multos annos“ – auf viele weitere erfolgreiche Jahre!
Schlusswort des Schulleiters Heinz Buss:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Festgäste!
75 Jahre Verein ehemaliger Georgianer, 125 Jahre GTRV, 325 Jahre Gymnasium Georgianum — ganz schön ins Alter gekommen!
Doch was bleibt noch zu sagen nach der freundlichen Begrüßung, den Grußworten, dem lobendem Vortrag?
Sollte ich in meinem Schlusswort ein jedes Jahr dieser Vergangenheit mit jeweils nur einer Minute würdigen, dann könnte der heutige Festakt noch mühelos um fast sechs Stunden erweitert werden — haben Sie Lust dazu?
Sollte ich auf jedes Jahrhundert der Schulgeschichte in nur einer Minute eingehen – wäre das diesem Anlass angemessen?
Sollte ich vielleicht nur die letzten 25 Jahre nach der großen Jubelfeier im Jahre 1980 besonders würdigen? – Dazu gibt es die Festschrift!
Oder sollte ich etwa den heutigen Stand des Georgianums in der Bildungslandschaft betrachten, wo doch schon einmal folgendes Resümee aus Hannover gezogen wurde:
„Dieses Gymnasium hat seinen ruhig fortschreitenden Gang genommen, ist seinem Charakter consequenter Bildung treu geblieben und hat den Beleg zu dem Grundsatze gegeben, dass ein Gymnasium … an einem kleineren und stillen Orte, wo die Schüler auch außer der Schulzeit leichter beachtet werden können, seine volle Berechtigung habe neben den Anstalten in größeren und volkreichen Städten mit ihren vielfachen Reizmitteln für die genußsüchtige Jugend.“ Friedrich Kohlrausch, 1863 (Generalschuldirektor, Förderer des Georgianums)
Worüber also noch sprechen?
In einem sokratischen Dialog würde wohl jetzt formuliert werden:
0 Sokrates, en aporia eimi – ich befinde mich im Zustand der Ratlosigkeit !
Sokrates hätte das Dilemma damals wohl im Dialog gelöst. Ich versuche es heute im typischen Lehrervortrag als Monolog:
Mono-log : ein Wort , aber ein ganz wichtiges, nämlich: Danke!
Und wem gebührt der Dank?
Das Georgianum ist vor 325 Jahren mit christlichem Auftrag gegründet worden und bekennt sich auch heute noch (wie übrigens auch das niedersächsische Schulgesetz !) zu diesem Hintergrund: Deshalb an erster Stelle:
Gott sei Dank (oder: Deo gratias) für diese Jahre! Das möchte ich im Namen der Schulgemeinschaft mit seiner Schülerschaft, der Elternvertretung, dem Kollegium und den Mitarbeitern feststellen! Einen eigenen ökumenischen Dankgottesdienst werden wir zu diesem Anlass auch am kommenden Sonntag vor der alten Universität feiern, zu dem ich Sie alle herzlich einlade!
Wir möchten uns aber auch bei Ihnen/bei Euch hier im Theatersaal bedanken, dass Sie der Einladung zu dieser Feier gefolgt sind und sich mit uns freuen. Ohne Sie/Euch wäre es auch eine traurige Feier! Durch diese illustre Gästeschar, die der Herr Landrat zu Beginn begrüßen konnte, fühlen wir uns geehrt, denn wenn zahlreiche Freunde und Gönner sich versammeln, dann ist das sicher ein Zeichen dafür, wie unsere Schule trotz des hohen Alters in der Gegenwart lebt und mit ihr verbunden ist. Herausragend ist natürlich der Besuch aus Hannover!
Vor 325 Jahren gründete Wilhelm III. aus dem Hause der Oranier die Schule … Die Oranier sind heute in den Niederlanden noch in Amt und Würden.
Unser Namensgeber, Georg V. von Hannover, stammt aus dem Hause der Welfen … in Niedersachsen haben die Welfen allerdings keine politische Bedeutung mehr. Konsequent ist aber dennoch, dass heute der demokratisch legitimierte Nachfolger von Georg V., der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Herr Christian Wulff, uns mit seinem Besuch ein großes Kompliment macht.
Wenn ich Sie heute, Herr Ministerpräsident, nicht auf Latein begrüße, wie es meine Vorvorgänger im Amte immer dann zu tun pflegten, wenn hoher Besuch aus Hannover anstand, dann mag dies als Zugeständnis an die Moderne aufgefasst werden oder auch als ehrliches Eingeständnis, in der lateinischen Sprache nicht mehr so fit zu sein, wenn ich es denn jemals gewesen bin. Es sind außerdem zu viele Zeugen im Saal, nämlich meine ehemaligen Lehrer und Mitschüler!
Unsere Schule fühlt sich geehrt, Herr Ministerpräsident, dass Sie zum heutigen Anlass in die Metropole der westlichen Landesperipherie gekommen sind und durch ihre Präsenz eine der vielen Perlen dieser Stadt, nämlich das Georgianum, für einen kurzen Augenblick in den Landesmittelpunkt gerückt haben. Das Emsiand ist schon einmal Hannovers Wilder Westen genannt worden, spätestens seit ihrem Vortrag ist klar, dass allein schon wegen der Schulgeschichte künftig vom Goldenen Westen zu reden sein wird!
Als Schulleiter sollte ich mich mit politischen Bemerkungen zurückhalten, besonders in Wahlkampfzeiten, es sei mir aber eine nicht ganz ernst gemeinte Frage gestattet:
Die Gründer unseres Gymnasiums, Wilhelm III., und auch der Namensgeber Georg V. ‚ waren beide u.a. König von England. Wo steht eigentlich der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen in der englischen Thronfolge? Ist ein Wechsel auf die europäische Bühne geplant? Die o.g. Regenten sind auf jeden Fall, soweit ich weiß, im Lande geblieben!
(Ubrigens bemerkte der Hausmeister gestern, dass Herr Kohl und Herr Schröder auch schon einmal in diesem Theater eine Rede gehalten haben, bevor sie …)
Zurück zum Thema:
325 Jahre Georgianum bedeuten neben aller Freude für uns auch Verpflichtung, mit diesem Erbe verantwortungsvoll umzugehen. Die Schulgemeinschaft des Georgianums stellt sich dieser Aufgabe, weiß aber auch, dass der Erfolg viele Väter und Mütter hat.
Wir danken deshalb in besonderer Weise dem Landkreis Emsland, erstrangig vertreten durch den Landrat Herrn Hermann Bröring und den ersten Kreisrat Herrn Winter.
Der Landkreis mit seiner Schulabteilung trägt die Verantwortung für diese Schule mit, weit über das Finanzielle hinaus. Danke für die gute Zusammenarbeit!
Wir danken ebenso der Stadt Lingen, vertreten durch den Oberbürgermeister Heiner Pott, für die Verbundenheit mit diesem Lingener Gymnasium, die er auch durch sein Grußwort unterstrichen hat. Wie formulierte schon der Bürgermeister v. Beesten im Jahre 1880 in einem Rechenschaftsbericht:
„Die Stadt hat vollen Grund diese Anstalt hoch zu halten, nicht allein deswegen, weil sie eine unentbehrliche Bildungsanstalt ist für die Jugend, sondern auch deswegen, weil sie als Trägerin der humanen Wissenschaft auch im socialen und communalen Leben wohlthätig ausgleichend und hebend wirkt.“
In diesem Bericht wird übrigens auch erwähnt, dass einstimmig von den städtischen Kollegien beschlossen wurde, zum 200jährigen Bestehen des Georgianums einen Zuschuss von 500 Mark als einen Beweis ihrer anerkennenden Theilnahme zu bewilligen.
Wir danken den Lingener Kirchengemeinden, die seit der Schulgründung uns begleitet haben und uns bis heute unterstützen, sei es bei der Mitgestaltung der Gottesdienste zum Schuljahresbeginn oder zum Abitur, oder auch für die Bereitstellung ihres Kirchenraumes für zahlreiche Konzerte. Dank an Pastor Wissmann (Reformierte Gemeinde), Pfarrer Warning (Maria Königin), Pfarrer Lanvermeier (Bonifatius) und an den Kirchenvorstand der Kreuzkirche, Herrn Jochen Gerlach.
Verantwortung für den Schulerfolg übernimmt auch der Förderverein der Lingener Gymnasien, vertreten durch Frau Knutowski, der wir an dieser Stelle ganz herzlich für ihr Engagement zum Wohle der Schüler danken.
In besonderer Weise dem Wohl der Schule verpflichtet ist ferner der Verein ehem. Georgianer, der seit über 75 Jahren als „graue Eminenz im Hintergrund“ nicht mehr wegzudenken ist und als identifikationsstiftende Institution für Abiturienten Lingens und Umgebung hervorragende Dienste leistet. Mein Dank an den gesamten Vorstand und den Vorsitzenden Dr.Walter Schulz!
Als besonderer Förderer unseres Jubiläumsjahres mit den zahlreichen Veranstaltungen für unsere Schüler hat sich Herr Axel Wisniewski gezeigt. Ihm und seiner Stiftung gilt unser besonderer Dank!
Letztlich Dank an jeden einzelnen, seien es Schüler und Schülerinnen, Eltern, Kollegen, Mitarbeiter, Amtsvorgänger für das Engagement für unsere Schule. Persönlich bin ich froh über diese ausgezeichnete Teamarbeit!
Liebe Gäste!
Sie alle zeigen uns, dass Sie irgendwie mit unserer Schule und unserer Schulgemeinschaft verbunden sind. Viele sind sogar in Doppelfunktion als Funktionäre und Georgianer heute anwesend. Outen Sie sich ruhig Ihrem Nachbarn! (,‚Wie bitte? Sie waren nicht auf dem Georgianum? Kommen Sie nicht von hier?“)
Nun denn: Für mich, für uns ist heute diese gemeinsam erlebte Freude mehrfache Freude! Und diese wollen wir teilen und weitergeben.
Die Schülerinnen und Schüler haben deshalb gleich nach meinem Beitrag natürlich schulfrei! Bitte kommt gut heim! Euer Schulfest ist am Freitag, den 2. September!
Mit dem Dank an alle Schülerinnen und Schüler, die in den letzten Ferientagen intensiv für die musikalische Begleitung geprobt haben und zum Gelingen dieses Festaktes beitrugen, möchte ich schließen. Frau Tilmann-Bürger, Frau Pierags und Frau Hausmann ist es überzeugend gelungen, gerade die jüngsten Schüler zu motivieren und heranzuführen an Musik und Theater, ebenso Kollegen und Ehemalige einzubinden und zu dieser gemeinsamen Leistung anzuhalten.
Draußen im Foyer erwartet Sie gleich Georgie’s Groove Orchestra, eigentlich vom Kollegen Herrn Bako geleitet, der aber wegen Erkrankung leider heute verhindert ist, aber sicher gut vertreten wird durch Christoph Hüsken, Abiturient 2005, der dankenswerter Weise kurzfristig eingesprungen ist.
Für die geladenen Gäste möge das kleine Treffen im Anschluss an die Feier gleich im Foyer als ein Zeichen unseres Dankes dafür gelten, dass wir für Sie Gastgeber sein dürfen.
Lassen wir also zunächst der Jugend den Vortritt, gehen wir dann mit der Gelassenheit des Alters in das Foyer zum Treffen!