Professoren mit Ehrfurcht begegnen

Unruhestifter an der Lingener Akademie – Duellieren verboten

Von Johannes Franke

Professorenhaus

Das Professorenhaus in der Stadt Lingen am Universitätsplatz heute. Foto: Roman Starke

 

Georg V.

Georg V., König von Hannover (1851 bis 1866). Er gab dem Gymnasium Georgianum am 12. Oktober 1859 seinen Namen. Foto: privat

 

Die kleine Stadt Lingen ist ab dem 17. Jahrhundert weit über die Grenzen der Grafschaft hinaus bekannt. Hat sie doch eine Lateinschule, die „Hohe Schule“ und ab 1820 ein Gymnasium, an denen Lehrer und Professoren ihre Schüler und Studenten in verschiedenen Fächern unterrichten. Für die Stadt ein Aushängeschild und Zugewinn, doch das Leben innerhalb der Stadtmauern mit ca. 1700 Einwohnern verläuft nicht immer zur Freude der Bevölkerung.

Die Vorlesungen begannen im Herbst 1697. Sie wurden, da kein eigenes Gebäude für die Akademie errichtet wurde, im Auditorium der lateinischen Schule oder in der Wohnung der Professoren abgehalten. Die Kuratoren bemühten sich, tüchtige Lehrer für die Akademie zu gewinnen, was jedoch nicht ganz einfach war.

Am Tage der ersten Immatrikulation hatte die Akademie einen Professor, Henricus Pontanus, der auch das Rektorat versah. Jeweils ein Professor war für die vier Fakultäten vorgesehen, wobei zwei Professoren Theologie lehrten, zudem Hebräisch, Griechisch und Latein, dazu orientalische Sprachen und jüdisches Altertum.

Die Theologieprofessoren waren stets auch mit dem Predigtdienst in der Lingener reformierten Gemeinde betraut. Es gab Lehrstühle für Philosophie, die juristische Fakultät, Lehrverpflichtung für „Römische Altertümer“, und ab 1707 begannen mit einem Arzt die medizinischen Lehrveranstaltungen.

Aus näherer und fernerer Umgebung zogen die Studenten nach Lingen, vor allem aus Holland. Stipendiaten erhielten jährlich 50 Gulden. „Die Studenten mussten ehrbar und christlich leben, fleißig studieren, dem Rektor, den Professoren und Kuratoren mit Ehrfurcht begegnen, sich ihren Ermahnungen, Zensuren und Erkenntnissen gehorsam unterwerfen und mit ihresgleichen in Liebe und Eintracht verkehren“, ist in Quellen nachzulesen.

Das Lärmen auf der Straße, das Degenziehen, Duellieren und Beleidigungen waren verboten und wurden mit Geldbußen – zum Wohle der Bibliothek – Karzer (Kerker) und/oder Verweis bestraft.

„Rohes Leben“

„Holländer übertrugen aber das wüste, rohe Leben und Treiben, das an den holländischen Universitäten üblich war, auf die Lingener Akademie“, heißt es weiter. Lingener Bürger litten bisweilen unter Unruhe stiftenden 50 Studenten.

Aus wirtschaftlichen Gründen begrüßten die meisten der ca. 2000 Einwohner die Studenten in ihrer Stadt. Insgesamt waren 1337 Studenten immatrikuliert. Über 800 studierten Theologie, mehr als 300 Jura. Ein Drittel der Studenten kamen aus der Grafschaft Lingen, 106 aus der Grafschaft Bentheim, 163 aus Ostfriesland, 34 aus Westfalen, aus Bremen sieben und vereinzelt aus anderen deutschen Städten. 450 Studenten waren Holländer, 16 kamen aus niederländischen überseeischen Kolonien, einer vom Kap der guten Hoffnung in Afrika. Andere kamen aus Frankreich, Dänemark, England, der Schweiz und einer aus Amerika, um an der „Hohen Schule“ zu studieren.

Die Theologische Fakultät war die wichtigste. Das Studium erfolgte nach den Grundsätzen der niederländisch-reformierten Kirche, und der Lehrstuhl war mit der Stelle des 1. Predigers der reformierten Gemeinde kombiniert. Die meisten Studenten strebten ein geistliches Amt an, wollten Prediger werden in der Grafschaft Lingen, Ostfriesland oder Holland oder missionierten in Ost- und Westindien.

Aus Beesten

Neben Henricus Pontanus gehörte Professor Georg Heinrich Werndly, geb. 1693 in Beesten, Sohn des dortigen reformierten Predigers und selbst in Lingen ausgebildet, zu den geachteten und berühmten Theologen. Er missionierte auf Java und Sumatra. Ungewöhnlich begabt, übersetzte er die Bibel in verschiedene Sprachen, hielt Vorlesungen in syrischer und babylonischer Sprache und gab Anleitungen in arabischen und asiatischen Sprachen. 1744 starb er an Malariafieber in Ostindien.

In der medizinischen Fakultät hatte Professor Leonhard Ludwig Finke, 1747 in Westerkappeln geboren, einen großen Namen. Als Landphysicus der Grafschaft Tecklenburg war er ab 1780 als Medizinprofessor und als geachteter Hebammenlehrer in Lingen bis 1819 tätig. Er starb 1837.

In der juristischen Fakultät wurden die Studenten als Fachkräfte für Rechtsprechung und Verwaltung ausgebildet. Prominente niederländische Juristen lehrten als Professoren, waren vielfach Anwälte für Institutionen und Bürger in der Stadt. Unter preußischer Herrschaft lehrten bis 1819 nur deutsche Professoren. Dazu zählte auch von 1792 bis 1819 Theodor Christian Friedrich Raydt.

Zahlreiche niederländische und deutsche Wissenschaftler lehrten in den Fakultäten Philosophie sowie Geschichte und Beredsamkeit. Hier ist ab 1785 bis 1819 Friedrich Heidekamp tätig, der ab 1820 mit 64 Jahren die Leitung des Gymnasiums Georgianum übernahm. Daneben gab es die Fakultäten der orientalischen Sprachen und der jüdischen sowie römische Altertümer.

Die Lingener Akademie durchlebte wechselvolle Jahre. Nach den oranischen Anfangsjahren von 1697 bis 1702 folgten nach dem Tod des Gründers und Förderers Wilhelm III. von Oranien lange preußische Perioden von 1702 bis 1806. Und nach einigen Jahren häufigen politischen Wechsels die nur noch kurze hannoversche Zeit 1815 bis 1820.

Äußere Ereignisse wie Krieg hatten der Schule zugesetzt, vor allem der siebenjährige Krieg 1756 bis 1763 und napoleonische Wirren. Ein geordneter Unterrichtsbetrieb war fast nicht möglich. Die Ausländer mieden die Akademie, die Studentenzahl sank auf zwölf. 1761 verließen sämtliche Professoren und Studenten aus Furcht vor den Franzosen die Stadt. Es gab wie immer begabte, fleißige Professoren, aber auch schlechte Lehrer. Die Blütezeit war die ersten 20 preußischen Jahre unter Friedrich I., König in Preußen. Er förderte seine Lingener Akademie, besuchte sie schon 1702.

Die Zeit der konfessionell geprägten, stark niederländisch orientierten Anstalt war abgelaufen. Die Grafschaft Lingen war überwiegend katholisch geblieben, und politische Verbindungen zu den Niederlanden bestanden ab 1702 nicht mehr. Auch die sprachlich-kulturellen Verbindungen lösten sich nach und nach auf. Es gab Reformvorschläge, wie zum Beispiel das Promotionsrecht, das jedoch nicht gestattet wurde. 1797 feierte man das 100-jährige Bestehen der Akademie. Doch die wechselvollen politischen Umwälzungen führten zu ihrem Ende.

Neues Gymnasium

Im Oktober 1818 verfügte der Prinzregent Georg von Hannover die Aufhebung des Akademischen Gymnasiums. Am 16. April 1820 war in der „Hannoverschen Gesetzes-Sammlung“ zu lesen, „dass in Lingen statt der bisherigen lateinischen Schule sofort eine erweiterte und vollkommenere Bildungs-Anstalt unter dem Namen eines Gymnasiums errichtet und die Aufhebung der Universität gleichzeitig mit dem Anfange des Neuen Gymnasium auf Ostern 1820 erfolgen sollte“.

 

Lingener Tagespost vom 25. August 2015