In einer fast zweistündigen Veranstaltung, die die Fachschaft Geschichte für die 10. Klassen am vergangenen Freitag (3. Februar 2017) organisiert hatte, berichtete Lingens ehemaliger Oberstadtdirektor Karl-Heinz Vehring über das Schicksal seiner Brüder und über das Leben in seinem Heimatdorf vor und während des Zweiten Weltkrieges.
Herr Pflegling als Vertreter der Fachschaft Geschichte begrüßte Herrn Vehring (re.) im Namen der Schulleitung und der Schüler herzlich.
„Ich war 1945 zehn Jahre alt!“ Diese Aussage, mit der Vehring den ersten Teil der Veranstaltung begann, mag in einigen Zuhörern Zweifel an der erlebten Tiefe der gemachten Zeiterfahrung erweckt haben, doch zeigte sich im Voranschreiten des Vortrags schon bald die Besonderheit dieses Zeitzeugenberichtes. Er beruhte zwar auch auf eigenen Kindheitserfahrungen, die Vehring als zweitjüngstes von neun Kindern auf dem Bauernhof der Familie in Klosterholte in den Vor- und Kriegsjahren gemacht hatte. Doch bestach der Bericht vor allem durch seine direkte Unmittelbarkeit, die auf den Kriegserlebnissen der Brüder fußte. Ihre Erfahrungen, den vielen Feldpostbriefen entnommen, standen dann auch, nachdem der Vortragende in einem Exkurs über das tagtägliche Leben in Diktatur und Krieg einen tragfähigen historischen Rahmen abgesteckt hatte, im Fokus der Ausführungen. Sie zeigten eindringlich, wie der Krieg besonders in den Lebensläufen der älteren Brüder das Schicksal launisch verteilte. So verschlug es Bernhard, mit 19 Jahren eingezogen, an den Kriegsschauplatz Nordafrika. Dort wurde er 1941 im frisch gegründeten Afrikakorps als Fahrer auf der 1700 Kilometer langen Küstenstraße von Tripolis bis El-Alamein eingesetzt. Die Kriegsgefangenschaft, in die er dann 1943 geriet, endete nach einer längeren Internierung in den USA 1947 in England. Für Willi, dem zweiten Bruder im Krieg und mit 18 Jahren eingezogen, war 1947 ein ebenso wichtiges Jahr, weil es auch ihm wieder die Freiheit brachte. Denn mit seiner Flucht nach Österreich gelang ihm, sich aus Gefangenschaft zu befreien, in die er nach heftigen Kämpfen auf dem Rückzug seiner Einheit von der italienischen Halbinsel geraten war. Er entging damit weiteren körperlichen Übergriffen jugoslawischer Partisanen, von denen er mit Bitterkeit in seinen Briefen berichtete. Anton hingegen, der mit 17 Jahren Soldat und nach Russland beordert wurde, traf das Schicksal ungleich härter. Auf dem langen Rückzug der deutschen Truppen zurück auf deutsches Gebiet erlitt er seit 1943 vier zum Teil schwere Verwundungen, sodass er sein Kriegsende in einem provisorischen Lazarett im Raum Göttingen erlebte. Ebenso wie seine Brüder wurde er in seinen Briefen zum Berichterstatter der harten und unerbittlichen Kämpfe an seinem Kriegsschauplatz und zeigte dabei aber auch einen unverstellteren Blick auf Not und Elend der russischen Bevölkerung, über die der Krieg mit aller Gewalt zweimal hinweggezogen war.
Voll besetzt mit allen Zehntklässlern – der Vorraum zur Mensa.
Viel Applaus erhielt der Redner am Ende seines Vortrags, bevor die Schüler Fragen stellen konnten.
Im zweiten Teil der Veranstaltung hatte der zehnte Jahrgang die Möglichkeit, vertiefende Fragen zum Vortrag zu stellen. Hier berichtete Vehring eindrucksvoll über die psychischen Auswirkungen des Krieges – über die allgewärtige Todesangst an der Front und über die ständige Bedrohung in der Heimat durch Tiefflieger, über die „totale Erleichterung“, als der Krieg vorbei war, und über die traumatischen Nachwirkungen des Krieges bei seinen Brüdern.
Der Vortrag des 82-jährigen Redners stimmte nachdenklich; und er überzeugte, besonders, weil den Zuhörern mehr als deutlich wurde, wie der weltweite Krieg in die Lebensplanungen dieser elfköpfigen Familie mit seiner ganzen Wucht seine Bahn brach. Er überzeugte auch deswegen, weil er mit den Zeitzeugnissen und dem Zeitzeugen eine beinah unmittelbare Authentizität gewann, die Geschichtsbücher nicht bieten. Er überzeugte, weil es Karl-Heinz Vehring gelang, nicht nur das Vergangene zu erzählen, sondern auch dessen Bedeutung für unsere Gegenwart eindringlich zu formulieren: „Es gibt nichts Besseres als Frieden!“
Freuten sich alle über die gelungene Veranstaltung – die Schüler, Schulleiter Manfred Heuer, Karl-Heinz Vehring und die Organisatoren des Zeitzeugengesprächs Alexander Neubauer und Alexander Pfleging (v.l.).
Text: Stefan Roters. Fotos: Stefan Koch, Stefan Roters.