Am Mittwoch, den 18. Oktober 2017 hielt der ehemalige Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf Karl-Heinz Keldungs vor Schülerinnen und Schülern der 10. Jahrgangsstufe einen interessanten und beeindruckenden Vortrag über den Umgang mit NS-Tätern vor Gericht. Dieser Aspekt wird im regulären Geschichtsunterricht in der Regel nur kursorisch behandelt und stellte so eine sinnvolle inhaltliche Bereicherung für die Zuhörerinnen und Zuhörer dar.
Auf Vermittlung des Verlegers Georg Aehling und des Vorsitzenden des Forums Juden-Christen Heribert Lange sprach Herr Keldungs in beiden Lingener Gymnasien zum Thema „NS-Täter vor Gericht“.
Herr Heuer (r.) und Herr Pfleging (l.) dankten dem Vortragenden Herrn Keldungs (2. v.r.) und Herrn Aehling (2. v.l.) vom Verlag Edition Virgines für die sehr gelungene Veranstaltung. Fotos: Stefan Roters
In der Lingener Tagespost berichtete unser ehemaliger Kollege Johannes Franke über die Veranstaltung:
Urteile zu NS-Tätern stimmen Lingener Schüler nachdenklich
Der ehemalige Richter und Buchautor Karl-Heinz Keldungs hat vor Schülern und beim Lehrhausgespräch des Forums Juden-Christen in der Jüdischen Schule zum „Majdanek-Prozess“ und zum Thema „NS-Täter vor Gericht“ gesprochen und Auszüge aus seinem Buch „Große Strafprozesse vor Düsseldorfer Gerichten“ vorgestellt.
Einen Geschichtsunterricht ganz besonderer Art erlebten Schüler am Franziskusgymnasium und Georgianum, als ihnen Karl-Heinz Keldungs über den Holocaust berichtete und vor allem die Rechtsprechung in den einschlägigen Prozessen der Nachkriegszeit erläuterte.
Ohne Juristendeutsch
Es handele sich um ein Thema, das „sehr zwiespältig nach dem Krieg behandelt worden ist“, sagte Verleger Georg Aehling während der Einführung. Neugierig sei Keldungs geworden, denn sein „Geschichtsunterricht endete bei der Weimarer Republik.“ Wie seine Eltern hätten Elterngenerationen scheinbar über die Gräueltaten und Verbrechen in der NS-Zeit „angeblich nichts gewusst.“ Ohne Juristendeutsch beschrieb Keldungs die Entwicklung der Rechtsprechung in der Nachkriegszeit. Im Kontext der „Vernichtung der jüdischen Rasse“ ging Keldungs auf die Entrechtung der Juden, Rassengesetze, Pogromnacht und Wannseekonferenz ein. Nur vor diesem Hintergrund seien die Konzentrations-, Arbeitslager und vor allem Vernichtungslager entstanden, um die unmenschliche Tötungsmaschinerie zu betreiben.
„Kurzer Prozess“
Den NS-Tätern seien von den Alliierten nach dem Kriege im wahrsten Sinne des Wortes „ein kurzer Prozess“ gemacht worden. Keldungs ging auf den Nürnberger-Prozess ein, berichtete über weitere in Deutschland und Israel, umriss das widernatürliche Verhalten einiger Haupttäter, die zum Tode verurteilt wurden. 13 Jahre nach Kriegsende habe es in Deutschland keinen Prozess gegeben. Die Rechtsprechung entwickelte sich, und viele Richter sahen in der noch jungen Bundesrepublik nicht nur die Schuld bei den Haupttätern, sondern auch bei „allen anderen Gehilfen.“
Tätern „nichts nachzuweisen“
Der „Majdanek-Prozess“ vom 26. November 1975 bis zum 30. Juni 1981 in Düsseldorf erregte weltweites Aufsehen. 17 Angehörige des Lagerpersonals waren angeklagt und wurden verurteilt. Bei einigen Passagen zu den Tätern, aber auch bei Äußerungen der Verteidiger, stockte nicht nur dem Referenten der Atem. Unvorstellbares hörten die Schüler über unaussprechliche Gräueltaten, die auch sogenannte „Befehlsempfänger“ in den Lagern begangen hatten und denen der Prozess gemacht wurde. Unvorstellbar auch, wie einige sich ihrer gerechten Strafe entzogen, flohen, Mithelfer hatten, oder aber unbehelligt über viele Jahre in Amt und Würden ihrer Arbeit im Öffentlichen Dienst nachgingen. Schwer nachvollziehbar auch, dass Täter als freie Männer den Gerichtssaal verließen, da ihnen scheinbar nichts nachgewiesen werden konnte, oder aber aus gesundheitlichen Gründen eine Strafe nicht zugemutet werden konnte.
Urteile stimmen nachdenklich
Dass die Rechtsprechung sich entwickelt habe, konnten die Schüler verstehen. Aber ihr Gerechtigkeitssinn geriet bei einigen Urteilen oder Nichturteilen ins Wanken. Dem Referenten stimmten sie zu, dass im Laufe der Jahre auch viele wegen der Beihilfe verurteilt wurden. Zustimmung auch zu der Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog: „Das ist eine unauslöschliche Schande, die begangen wurde.“ Ausführungen eines Experten, die Jugendliche gerade in der heutigen Zeit mit nationalen und rechten Tendenzen hellhörig und nachdenklich stimmte.
Johannes Franke
Lingener Tagespost vom 23.10.2017