Ihr Solostück „Gretchen reloaded“, das eine ungewollte Schwangerschaft problematisiert, brachte am vergangenen Dienstag (14. November 2016) die Theaterpädagogin und Schauspielerin Sonni Maier im Forum zur Aufführung. Im Rahmen der Präventionsarbeit am Georgianum bot die zum Merken würdige Darbietung dem gesamten 9. und 10. Jahrgang die Gelegenheit, sich über den Biologie- und Religionsunterricht hinaus intensiv und beinah hautnah mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Zu Beginn begrüßte Schulleiter Manfred Heuer neben den anwesenden Schülern auch die Vertreter von donum vitae, dem Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF), von LOGO und der Stadt Lingen und verwies darauf, dass diese Veranstaltung nach 2014 aufgrund der guten Zusammenarbeit mit diesen Kooperationspartnern wieder zustande gekommen sei.
Schulleiter Manfred Heuer (l., hier mit Frank Wesendrup vom Jugendamt) bedankte sich bei den Kooperationspartnern, dass sie im pädagogischen Nachgespräch über Beratungs- und Hilfsmöglichkeiten informieren.
In einer kurzen Einführung umriss Maier vor allem die Absicht ihres eigenen Stückes: So sei „Gretchen reloaded“, das sich lose an Goethes „Faust“ anlehne, keine Komödie, sondern „ein hartes Stück“, eine Tragödie, die ohne „Lehrerzeigefinger“ vor allem zum Selbst-denken anregen solle.
Die Schauspielerin Sonni Maier aus Witten präsentierte ihr Solostück „Gretchen reloaded“ – eine „aktuelle Version des Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe, so Maier.
Und dieses Versprechen löste die Aufführung ein – nicht nur durch das mitreißende Spiel der einzigen Akteurin, sondern auch wegen der Unmittelbarkeit, mit der das junge Publikum in die Lebenswirklichkeit von Jenny hineingerissen wird. Blutverschmiert, direkt nach der Entbindung, allein, so kämpft das junge Mädchen mit sich, mit dem herausfordernden, schon bald überfordernden Lebensumstand, gerade Mutter geworden zu sein. So beginnt sie, im Herzen noch ein Kind, zunächst, alles zu verdrängen: „Da? Da ist nix! Nix passiert!“. Doch das, was ihr bis da noch als böser Traum erscheint, wird durch das klagende Schreien ihres Babys aus dem Nebenzimmer immer mehr zur Realität, die zu leugnen ihr erster Versuch der Verarbeitung ist.
Ein starrer Blick ins Display – Jennys Freund will von ihrer Notlage nichts wissen.
Die Minderjährige hofft auf Unterstützung durch den Vater des Kindes, muss aber erkennen, dass dieser auf ihre Anrufe nicht reagiert und ihr jede Hilfe versagt. In ihrer tiefen Not versinkt die junge Mutter in ein Zwiegespräch mit ihrem Stoffhasen; sie beklagt den Verlust ihrer Kindheit, weil sie – neugierig geworden – das „Mädchenland“ verlassen und für die „weite Welt“ eingetauscht habe. Und diese neu entdeckte Welt bringt ihr eine ungeahnte Gefühlswelt – vor allem dann, wenn sie mit dreamboy17 chattet. Sie fühlt sich erst ernst und dann von ihm angenommen, sodass sie sich mit ihm in einem Eiscafé trifft. Dort begegnet sie nicht dem Traum eines Jungen, sondern Heinrich, 42, verheiratet, zwei Kinder. Ihm es gelingt, sie mit Geschenken zu verführen. In der Rückschau mit ihrem Kuscheltier muss sie nun bitter erkennen, dass Heinrich nur seinen Spaß haben wollte – mit seinem „kleinen Gretchen“, wie er sie nennt. Die Abtreibung, die er verlangt, verweigert sie mit der Konsequenz, dass sie nun allein Schwangerschaft und Geburt durchstehen muss. Weil sie weder Eltern noch Freunde noch Lehrer einweiht und die auch – so klagt sie – nichts bemerken und nur wegschauen, resümiert sie: „Ihr wolltet nicht sehen! Ich bin euch egal!“ In die ,Unterhaltung’ mit dem Hasen platzt wieder das penetrante Babygeschrei und lässt in dem so bedrängten Mädchen den Plan aufkommen, das eigene Kind zu töten, um wieder frei mit Heinrich leben zu können. Und mit dem Messer in der Hand sticht sie ein – auf den Hasen; schreckt hoch wie aus einem Traum, erkennt ihren Irrtum. Schließlich folgt der erlösende Schritt aufs Kind zu, wenn sie zu ihm spricht: „Niemand liebt dich?… Doch ich!“
„Mama ist hier!“ – Jenny beruhigt ihr Kind zum ersten Mal und nimmt es in die Arme.
Das pädagogische Nachgespräch – moderiert von Maier – drehte sich vor allem um die Art der Beziehung zwischen Jenny und Heinrich und der Frage, wie dem Mädchen in solch einer Lebenssituation real geholfen werden kann. In der Diskussion wurde allen Teilnehmern schnell deutlich, dass keine echte Liebesbeziehung die beiden zusammenhält, sondern dass hier eigentlich ein Abhängigkeitsverhältnis festzustellen ist. Denn Heinrich missbraucht Jenny – einmal sexuell und ein zweites Mal emotional, indem er ihre Sehnsucht nach Liebe ausnutzt. Die Vertreterinnen von donum vitae, dem SKF und LOGO schilderten aus ihrem Erfahrungsbereich den Ablauf einer Beratung und betonten vor allem, dass dabei allein die Hilfesuchende und die Bewältigung ihrer Situation im Mittelpunkt stehe, sei es in rechtlicher, finanzieller oder organisatorischer Hinsicht, wobei die Beratung stets der gesetzlich festgelegten Schweigepflicht unterliege.
Beantworteten im pädagogischen Nachgespräch die Fragen der Schüler (v.l.): Sonni Maier, Waltraut Wolbet (donum vitae), Ariane Geeesen (SKF), Natalie Heinen (LOGO).
Das Theaterstück „Gretchen reloaded“ lotete sinnfällig das Konfliktfeld der Figur in all seinen Dimensionen aus, ohne belehrend zu wirken. Es zeigte ferner auf, wie wichtig es ist, das Alleinsein der Betroffenen zu durchbrechen. In dieser Hinsicht ist es auch ein Appell an Eltern, Freunde und Schule, mehr Achtsamkeit zu zeigen. So wie es Goethes Gretchen am Ende der Tragödie von ihrem Heinrich fordernd verlangt: „Bist du ein Mensch, so fühle meine Not.“ (Faust I, V. 4425)
Text und Fotos: Stefan Roters.