Spannender Einblick, eindrucksvolle Erlebnisse – die „Woche der Gerechtigkeit“

Jemand betritt den Saal. Jemand wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Dies ist nur eine von vielen Erfahrungen, die die Schülerinnen und Schüler der Politik-Leistungskurse der Jahrgänge 12 und 13 unseres Gymnasiums Georgianum, zusammen mit Schülerinnen und Schülern des Franziskus Gymnasiums, während dreier spannender Veranstaltungen machen durften.

Der Anlass war die „Woche der Gerechtigkeit“, die in Niedersachsen anlässlich des 75. Geburtstages des Grundgesetzes über den Zeitraum vom 2. bis 8. September 2024 ausgerufen wurde. Im Mittelpunkt stand dabei das Thema Gerechtigkeit – insbesondere im Hinblick auf die deutsche Justiz.

Auftakt mit dem Anstaltsleiter der JVA Lingen

Herr Portmann stellte sich interessierten Fragen.

Die Auftaktveranstaltung wurde von Herrn Portmann, dem Leiter der JVA Lingen, geführt. Im Mensavorraum unserer Schule hielt er einen interessanten Vortrag über die Fragen, was Deutschland als Rechtsstaat ausmacht und wie ein Gefängnis eigentlich mit der Würde des Menschen vereinbar sein kann. Immer wieder wurden Fragen gestellt – beispielsweise über die Rückfallquote eines Häftlings nach der Entlassung – die Herr Portmann alle ausführlich beantwortete. Durch die Einbindung von kleinen Stimmungsumfragen und Anekdoten gestaltete sich der Vortrag sehr lebendig. Kennen Sie zum Beispiel die Geschichte der Bundesgiraffe? Herr Portmann bot also durchaus einen klasse Einstieg in die Veranstaltungsreihe.

Termin im Amtsgericht Lingen

Der zweite Programmpunkt startete für mich und die anderen Schüler und Schülerinnen morgens im Amtsgericht Lingen. Hier füllten wir die Zuschauerbänke eines großen Saales und erlebten zwei echte Hauptverhandlungen mit. Gespannt verfolgten wir die Aussagen der Angeklagten, die Vernehmungen von Zeugen und die Entscheidungen des Gerichts. Während eine Verhandlung vertagt wurde, endete eine andere mit einem Urteilsspruch – Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Schlagartig wurde das Leben eines Menschen verändert, während wir hinten im Saal saßen und zuschauten. Genau das, an solchen Gerichtsverhandlungen teilzunehmen, steht der Öffentlichkeit tatsächlich frei. Interessierte Bürger können sich in der Regel also einfach als Zuschauer dazusetzten.

Gott sei dank nur auf der Zuschauerbank – und nicht auf der Anklagebank – die Schüler:innen unserer Schule zusammen mit Herrn Zermann.

Zwischen den Verhandlungen nahmen sich die vorsitzende Richterin, der Staatsanwalt sowie auch der Direktor des Amtsgerichts, Herr Hardt, noch zusätzlich Zeit, um die Fragen der Schülerinnen und Schüler – und der Lehrer – zu beantworten. Herr Zermann beispielsweise stellte der vorsitzenden Richterin nach der vertagten Verhandlung neugierig die Frage, ob sie persönlich glaube, dass die Angeklagten schuldig seien. Anstatt diese Frage aber zu beantworten, betonte sie ihre Pflicht, ein Urteil erst dann zu fällen, wenn die Beweislage vollständig und überzeugend sei. Diese Gespräche und die praxisnahe Erfahrung hinterließen bleibende Eindrücke – so sieht Deutschland als Rechtsstaat aus.

Führung durch die JVA Lingen

Die letzte Veranstaltung fand in der Hauptanstalt der JVA Lingen statt. Zwei Justizvollzugsbeamte informierten mich und die anderen Schülerinnen und Schüler über die JVA in Niedersachsen, den Aufbau der JVA Lingen sowie deren Arbeitsweise. Auch interessante Geschichten, wie die über den Ausbruch von elf Häftlingen aus der JVA Lingen im Jahr 1995, fehlten nicht.

Anschließend folgte eine Führung durch die JVA, inklusive der Bereiche, die der normale Besucher gar nicht betreten darf. Zu sehen waren unter anderem die gepflegten Freistundenhöfe mit ihren Grünanlagen, der Sportraum sowie der kleine Fußballplatz, die Langzeitbesucherräume – die beinahe wie ganz kleine Ferienwohnungen wirkten – und im Gegensatz dazu der sogenannte BgH, der besonders gesicherte Haftraum. In diesem Raum, der mit nur einer simplen Matratze und einem im Boden eingelassenen WC ausgestattet ist, werden Häftlinge in Sonderfällen wie körperlicher Aggressivität vorübergehend untergebracht. Dennoch so kurz wie möglich, da der BgH eine extrem erniedrigende und psychisch belastende Form der Unterbringung darstellt.

Führung durch die einzelnen Gebäudeteile des JVA Lingen.

Fazit

Mit diesen vielfältigen und eindrucksvollen Erlebnissen im Gepäck kann sicher gesagt werden, dass die „Woche der Gerechtigkeit“ eine lohnenswerte Veranstaltungsreihe war, die den uns Schülerinnen und Schülern einen spannenden Einblick in die Justiz und hinter ihre Kulissen bot – „Die Woche der Transparenz“, das wäre also ebenfalls ein passender Titel gewesen. Ein Danke geht an alle, die bei der Organisation mitgewirkt haben!

Text: Len Sarrazin, Fotos: JVA Lingen (Nr. 4), Sebastian Zermann (Nr. 2, Nr. 3), Stefan Roters (Nr. 1).