Wenn Privates und Schule ineinander verschwimmen

Social Immigrants müssen Schule neu denken

Auf Einladung der Schule gestaltete im November 2023 Moritz Becker von smiley e.v., einem in Hannover ansässigen Verein zur Förderung der Medienkompetenz, eine interessante und sehr weiterzuempfehlende schulinterne Fortbildung (SchiLf), zu der neben dem Kollegium auch Vertreter der Eltern sowie Lehrer von Grundschulen eingeladen waren, die mit dem unserer Schule kooperieren. Der Referent gliederte die kurzweilige Veranstaltung in zwei Teile – in einen aufschlussreichen Vortrag über die Nutzung von Social Media bei Schüler:innen und in eine fundierte Auswertung der Fragen, die die Zuhörer:innen zahlreich stellten.

Schulleiter Lucas Sieberg stellte während der Begrüßung heraus, dass Medienbildung nur gemeinsam mit Eltern, Grundschulen und dem Kollegium gelingen könne.

Zu Beginn des Vortragsteils machte Herr Becker dem Publikum zunächst seine Rolle in der SchiLf deutlich. Er wolle auf Grundlage seiner langjährigen Erfahrung, die sich auf viele Schulbesuche in den Jahrgängen 6 – 8 gründe, und ohne eigene Bewertung vorstellen, wie die Schüler:innen von heute intuitiv Social Media nutzten, warum das Smartphone diesen manchmal wichtiger sei als Unterrichtsstoff und dass manche Dinge im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung nicht mehr so seien wie in den Jahrzehnten vor Social Media.

Die große Herausforderung unserer Zeit ist, – so formulierte es der Referent – aus unbekümmerten Menschen Menschen zu machen, die mit Freiheit umgehen können. 

Gleichsam als Anwalt und Sprecher für die heutigen Schüler thematisierte der Vortragende zunächst die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Generationen am Beispiel der App „TikTok“, einem Videoportal für Kurzvideos: Während Erwachsene, Eltern wie Lehrer, diesem Social-Media-Trend beispielsweise wegen des ungeklärten Datenschutzes skeptisch bis ablehnend gegenüberstünden, sei das bei Max und Lisa, die während der Fortbildung als imaginäre Repräsentanten der Zwölfjährigen fungierten, anders. Ihnen sei eine bedingungslose Neugierde eigen, mit denen sie neue digitale Angebote ausprobieren würden. Ihnen sei durch die digitale Technik die Möglichkeit gegeben, ihr Medienangebot ihrem Tagesverlauf anzupassen – im Gegensatz zu den Generationen zuvor. Gleichwohl – so betont der Medienpädagoge – stünden die Schüler dabei vor der Herausforderung, besonders die Kompetenz der Selbstregulierung zu erlernen, um beispielsweise dem Unterricht zu folgen oder das Smartphone sinnvoll in den eigenen Alltag zu integrieren.

Und hierbei sei es in Schule und Elternhaus angezeigt, eben weil diese Selbstregulierung unfassbar anspruchsvoll sei, den Schüler:innen ein zeitliches Korsett zu geben, Handys und iPads zu beschränken, um so ein Lernfenster zu eröffnen. Das Ganze aber nicht in einer repressiven Art und Weise, sondern gedacht als eine wohlwollende Begleitung – mit dem Angebot, in schwierigen Situationen zu helfen.

Eine solche wichtige Unterstützung und Begleitung, die Herr Becker als Erziehungspartnerschaft bezeichnet, sei aus seiner Sicht auch für die herausfordernde Identitätsentwicklung der Jugendlichen zentral. Denn, um herauszufinden, wer man ist oder wer man gerne wäre, würden sich die Schüler auf Social Media immer wieder – auch grenzüberschreitend und provozierend – in Szene setzen, würden sie so um Aufmerksamkeit und Anerkennung in Form von Likes buhlen. Diese Bestätigung gebe ihnen Sicherheit und schließlich Orientierung in dem Lebensabschnitt Jugend, wo unter Umständen jeder Kommentar wichtig sei, weil dieser zeige, was andere von einem hielten. Das könne durch die neuen medialen Umstände ebenfalls in besonders negativer Weise die Ohnmacht der Opfer von Mobbing bestärken. Die Allgegenwart der digitalen Medien verstärkten die Ausgrenzung von Menschen, die nun vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-gehen bedrängt würden. Denn heute komme – im Gegensatz zu früher – das Internet den ganzen Tag mit – mit nach Hause, mit zum Sport, mit zum Jugendzentrum. 

Um so wichtiger sei es, eine Erziehungspartnerschaft zu leben und das soziale Lernen in Klassengemeinschaften zu schulen. Mit Blick auf die wohlwollende Begleitung müsse Schule und Elternhaus das Ziel klar sein, nämlich, aus unbekümmerten Menschen Menschen zu machen, die mit Freiheit umgehen könnten. Dabei sei nicht allein die Frage nach der Bildschirmzeit zentral, sondern man solle ebenso die Frage stellen, was zu kurz komme: Bewegung, Mannschaftssport, genügend Schlaf, das Spielen eines Musikinstrumentes.

Antwortete geduldig und fundiert auf die Fragen der Teilnehmer, die diese zuvor auf ,Tischdecken‘ notiert hatten.

Das soziale Lernen im Klassenrahmen heiße heute, gerade weil durch die ständige Verfügbarkeit von Social Media Privates und Schule immer mehr ineinander verschwimmen würden, Zivilcourage zu fördern, damit auch im Internet häufiger bei Konflikten interveniert werde. Ferner sei es hierbei wichtig, dass Eltern und Lehrkräfte erkennen, dass die Probleme dieser Zeit nicht mit Antworten aus ihrer Schulzeit gelöst werden könnten. Sie als sog. Social Immigrants – also Personen, die nicht mit Social Media aufgewachsen sind – hätten deshalb den Auftrag, Schule neu zu denken. 

Text und Fotos: Stefan Roters.